Im Seniorenzentrum sorgen Mitarbeitende aus Pflege, Hauswirtschaft und sozialer Betreuung für das Wohl der Bewohner. Anlässlich des erfolgreichen Abschlusses der Qualifizierung als Betreuungsassistentin haben wir Frau Rall interviewt und sie nach ihren beruflichen Erfahrungen gefragt:
Von Glücksmomenten, kleinen Wundern im Alltag und einer Zaubermappe
Frau Rist
Liebe Frau Rall, seit April 2019 arbeiten Sie nun schon im Seniorenzentrum St. Elisabeth in der sozialen Betreuung. Seit September 2019 absolvieren Sie die Qualifizierung als Betreuungsassistentin. Sie können auf mehr als ein halbes Jahr zurückblicken. Wie geht es Ihnen? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Frau Rall
Ich habe viele – für mich besondere – Menschen kennen gelernt. Und ich stelle fest, dass die Arbeit mein Leben verändert. Wo ich früher öfters „schnell-schnell“ unterwegs war, lerne ich heute im Zusammensein mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, einen Gang zurück zu schalten, mir Zeit zu nehmen, da zu sein für ein Gespräch. Oft ist Zuhören gefragt. Mir wird viel Vertrauen entgegengebracht. Kürzlich erzählte mir eine Bewohnerin, die ich sonst als sehr ruhig, ausgeglichen und selbstständig erlebe, von ihren Ängsten: „Was wird einmal mit mir? Ich merke, dass ab und zu mein Kopf ausschaltet.“
Und ich erlebe kleine Wunder im Alltag. Frau H. zum Beispiel, sie spricht von sich aus nicht mehr, bewegt sich kaum. Kürzlich habe ich sie in den Kreis der Kegelnden dazu genommen und gab ihr – versuchsweise – die Kugel in die Hand in der Hoffnung, dass sie ihn befühlen möchte. Sie nahm die Kugel und rollte sie – spontan - auf die Kegel zu. Das sind meine kleinen Glücksmomente.
Eigentlich erlebe ich viele Glücksmomente. Frau S. spricht ebenfalls fast nicht. Wir saßen in der Runde und tauschten uns über Rituale in der Weihnachtszeit aus. Plötzlich erhebt Frau S. ihre Stimme und erzählt, wie ihr Vater früher ein Instrument spielte und sie dazu sang.
Am Sonntag war ich bei Herrn R., einem Bewohner, der tief verankert ist im katholischen Glauben. Draußen hörte man die Kirchenglocken. „Herr R., wollen Sie ein Gebet sprechen?“ Er nickte. Seine Hand in meiner Hand sprach ich für und mit Herrn R. das Vaterunser. Herr R. kann kaum noch selbst sprechen.
Frau Rist
Frau Rall, Sie erzählten mir einmal, dass Sie selbst nicht aus einer religiösen Tradition kommen (damit will ich nicht sagen, dass Religion für Sie keine Bedeutung hat). Es bewegt mich, wie Sie unabhängig von eigenen Vorstellungen das Bedürfnis des Bewohners erspüren und ein entsprechendes Angebot machen.
Sie sprechen von Glücksmomenten. Ist Ihnen auch Schweres begegnet in Ihrem Alltag?
Frau Rall
Wenn Menschen gehen müssen. Es fällt nicht immer leicht, Distanz zu wahren. Manchmal gelingt es besser, manchmal weniger. Zu sehen, dass Menschen abbauen. Im Moment habe ich das Gefühl, bei einer ganzen Gruppe von Bewohnern werden die Kräfte weniger –
Das fällt mir manchmal schwer.
Frau Rist
Frau Rall, wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Oh, … ein größerer Aufenthaltsraum wäre toll. Mehr Zeit für die Menschen hätte ich gerne – doch wahrscheinlich hat man nie genug Zeit …
Dass Menschen wieder gesund werden könnten …
Frau Rist
Frau Rall, erzählen Sie doch ein wenig aus Ihrem Alltag.
Frau Rall
Ich liebe die Planung von Gruppenangeboten, die Recherche im Internet, in Büchern, das Sammeln von Materialien. Kürzlich habe ich eine Stunde zu Hausmitteln vorbereitet. Der ganze Raum roch anschließend nach Kümmel, Fenchel, Nelken etc. – und ich habe von Frau S. erfahren, dass Kartoffelsaft gut gegen Sodbrennen hilft. Wieder etwas gelernt.
Verstehen musste ich erst, dass Menschen gerne so viel wie möglich selbst machen wollen.
Dann dauert es eben 10 mal so lange, bis eine Dame sich im Rollstuhl selbst fort bewegt. Doch Selbsttun verschafft ihr ein Erfolgserlebnis und tut ihrem Körper gut. Ich übe mich in Geduld.
Frau Rist
Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, die Qualifizierung zur Betreuungsassistentin zu absolvieren? Sie arbeiteten vorher im Verkauf und sind von Beruf ursprünglich Landwirtin.
Frau Rall
Es war ein schleichender Prozess. Mein Schwiegervater lebte mit Demenz in St. Elisabeth.
Ich habe ihn oft besucht und war dann ja auch einige Jahre als Mitarbeitetin im Ehrenamt hier aktiv. Schuld ist eigentlich Frau S. Sie war die erste Person, die ich hier gesehen habe.
Sie litt unter Depressionen, weinte und klagte über Langeweile. Das hat mich sehr bewegt.
Vielleicht denkt man mit den Jahren auch anders über das Leben, über Sinn und Ziele.
Jedenfalls habe ich den Berufswechsel nicht bereut.
Überhaupt, die Qualifizierung bei den Johannitern kann ich wärmstens empfehlen.
Wir lernen dort viel Theorie, jedoch auch ganz Praktisches für den Alltag. Z.B. planen wir eine 10 Minuten-Aktivierung, führen sie in der Gruppe durch und bekommen anschließend Feedback.
Das Beste ist die „Zaubermappe“. Wir haben sie zu Beginn angelegt und sammeln in ihr alles Mögliche an Material und Ideen, eine wahre Schatzgrube.
Außerdem verstehe ich mich mit einigen meiner Mitschülerinnen so gut, dass wir uns vernetzt haben, uns immer wieder austauschen und uns gegenseitig weiterhelfen.
Frau Rist
Liebe Frau Rall, Ihre Gedanken beeindrucken mich sehr.
Die Begleitung der einzelnen Bewohner mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen in ihren je eigenen Lebenszusammenhängen erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Engagement, Belastbarkeit und Herzenswärme. Wir freuen uns sehr, dass wir Sie als Mitarbeiterin gewinnen konnten.
Vielen Dank für das Gespräch. Sie haben das Schlusswort:
Frau Rall
Wenn ich abends gehe, Tschüss sage und eine Person lächelt mir zu, dann hat sich der Tag gelohnt. Das sehe ich als meinen persönlichen Lohn. Mein neuer Job ist mir zu einer Herzensangelegenheit geworden.
PS: Mit Frau Rall haben wir glücklicherweise eine versierte Busfahrerin gewonnen. Zukünftigen Bewohner-Ausflügen steht also nichts im Weg.